Ich bin mir wirklich nicht ganz sicher, wie man mit einem solchen Kommentar umgehen soll, wie ihn der katholische Bischof Andreas Laun publiziert hat. Er schreibt in dem Text über die Love-Parade, die Massenpanik und die vielen Toten und Verletzten.
Auf der einen Seite sollte man derart unsinnige Hetzschriften nicht verbreiten. Auf der anderen Seite ist das vielleicht einfach ein bisschen wie mit “Mein Kampf”: alle Menschen, die Hitler toll finden und einen IQ nicht niedriger als eine Standardabweichung aufweisen sollten möglicherweise einfach mit dem Buch konfrontiert werden. Da es dermaßen schlecht, widersprüchlich und unsinnig geschrieben ist, kann ich mir allzu gut vorstellen, dass es eine gewisse Abschreckungswirkung entfalten könnte.
Ich hoffe einfach, dass es mit dem Text hier ebenso ist, und niemand auf die Idee verfällt, sich plötzlich “Bischof Laun” Fan-Tshirts zu kaufen.
Kein Mensch kann ohne Erschütterung von dem Unglück in Duisburg hören und ohne Mitleid bleiben für die Toten und vor allem auch deren Eltern und andere Angehörigen! Darum haben auch der Papst, viele Bischöfe und andere Menschen für die Betroffenen gebetet!
Es ist in der Tat eine schlimme Sache, die in Duisburg passiert ist. Ich leide zwar selten mit Toten mit, aber darum soll es hier nicht gehen.
Auch steht es keinem Menschen zu, über die Toten zu urteilen und darüber hinaus zu behaupten, ihr Tod sei eine – natürlich gerechte – “Strafe Gottes” für die Sündigkeit der Love-Parade, in deren Verlauf das Unglück geschah!
Das merken wir uns, und lesen weiter.
Sie [Love-Parade] dürfen nicht schöngeredet werden als “harmloses Feiern” netter junger Menschen!
Denn da gibt es bestimmt Menschen die vorehelichen Sex haben und andere scheußliche Dinge tun! Schließlich hat Jesus “Du sollst nicht laut-Musik-hören” nicht zum Spaß gesagt!
So falsch die konkrete, moralische Verurteilung der Toten ist und bleibt, wäre es doch auch höchste Zeit zu fragen, warum viele Menschen heute auf den Begriff “Strafe” wie von der Tarantel gebissen reagieren!
Tote Menschen konkret moralisch zu verurteilen ist also falsch, sagt Bischof Laun. Allerdings schreibt er weiter:
“Love – Parade” und Teilnahme an ihnen sind, abgesehen von ihrem abstoßenden Erscheinungsbild, objektiv eine Art Aufstand gegen die Schöpfung und gegen die Ordnung Gottes, sind Sünde und Einladung zur Sünde!
Abgesehen von der lächerlichen Formulierung “objektiv eine Art Aufstand” liest sich der Satz für mich wie eine durchaus recht “konkrete, moralische Verurteilung”, die doch nach Laun “keinem Menschen zusteht”, und “falsch” ist. Hat er schon vergessen was er drei Sätze darüber schrieb? Woher kennt Laun denn objektive moralische Standards? Gibt es bei der Ausbildung zum katholischen Geistlichen ein Seminar “Moral: eine rein objektive Angelegenheit”?
Man weigert sich anzuerkennen, dass die Loveparade, abgesehen von ihrem krankhaften Erscheinungsbild, auch mit Sünde zu tun haben könnte und darum, folgerichtig, auch mit dem richtenden und strafenden Gott!
Da Tote konkret moralisch zu beurteilen aber falsch ist (s.o.), allerdings davon ausgegangen werden kann, dass Gott die Toten ja gestraft hat für ihre Sünden, urteilt Bischof Laun also nur über die Lebenden?
Ich komme nicht mehr mit.
Zugleich korrigiert die Bibel auch das verbreitete Missverständnis, als ob Strafe dasselbe wäre wie die Befriedigung eines hässlichen, grausamen Gelüstes auf Rache! Und dies trifft auf Gott natürlich nicht zu!
Natürlich nicht! Da gibt es auch ganz wenige Bibelstellen, die diesen Gott darstellen, und die tun wir geschwind als “korrigiert” ab.
Wahr ist vielmehr: Wenn Gott “straft” tut er dies mit der Absicht, den Menschen zurückzuholen, Gott straft aus Liebe!
Gott hat auf der Love-Parade also 19 (EDIT: mittlerweile 21) Menschen aus Liebe getötet?
Ich bin begeistert.
Und der Argumentation Launs folgend waren das wohl nicht einfach irgendwelche Menschen, sondern moralischer Abschaum! Die Schlimmsten der Schlimmsten eben, die Gott auf solch einer Veranstaltung aus Liebe tötet. Ich gehe mal davon aus, dass das demnach homosexuelle Menschen waren, Frauen, die der Meinung gewesen sind, über ihren eigenen Körper bestimmen zu dürfen (Faun ist erklärter Abtreibungsgegner), und weiteres Schurkenpack, das es faustdick hinter den Ohren hat.
Also, gehabt hat.
Gut, auf solche Texte sollte man gar nicht versuchen sich argumentativ einzulassen, aber der Artikel war dermaßen absurd, dass ich nicht umhin konnte, Teile hier zu kommentieren.
– via fefe
August 8th, 2010 at 23:06
Ich komme zwar mit dem Kopfschütteln kaum noch hinterher. Aber trotzdem der Hinweis: inzwischen sind es leider 21 Tote geworden.
August 9th, 2010 at 08:19
Ich frage mich ohnehin oft, wie man an ein Konzept wie “Gott” glauben kann, ohne sich intellektuell zu schämen.
Noch mehr frage ich mich allerdings, wie man an einen solchen “strafenden” Gott glauben kann (im Sinne von: überzeugt sein, daß er existiert), ohne ihm gleichzeitig die Gefolgschaft zu verweigern bzw. ihn und seine Anhänger aktiv zu bekämpfen.
Man stelle sich die parallele Formulierung vor:
XY ist ein *strafender* Diktator – aber wenn er straft, dann straft er schon die Richtigen. Und das alles nur, um uns zur Einsicht in die Vollkommenheit seiner Herrschaftsform zu bewegen…
August 9th, 2010 at 09:12
Es gibt nun eine “Klarstellung der Klarstellung”:
http://kath.net/detail.php?id=27670
“Den Atheisten unter den Kritikern möchte ich sagen: Warum regt Ihr euch eigentlich auf? Der Gott der Bibel und der Kirche existiert in euren Augen ohnehin nicht, einer wie ich ist in Euren Augen nur ein „Märchen“-Erzähler: Warum die Aufregung über Nicht-Seiendes, fürchtet Ihr Euch vor Gespenstern”
Vor Gespenstern nicht. Aber vor Märchenerzählern, die Realität und Fiktion nicht mehr auseinanderhalten können.
August 9th, 2010 at 11:26
Was für ein absurdes Zitat. Man entschuldige den Vergleich, aber er ist in dem Fall einfach so naheliegend:
“Was regt ihr euch denn über den Nationalsozialismus auf, wenn ihr selbst nicht an seine Ideen glaubt?”
…
August 9th, 2010 at 13:57
@E.:
Ich denke, dass man dem Zitat zweierlei Stoßrichtungen geben kann.
Richtig ist zunächst, daß es aus der Sicht des Atheisten völlig gleichgültig ist, welche Eigenschaften ein nicht existierender Gott hat bzw. haben soll – ebensowenig wie Khorne, der Blutgott (oder so) existiert, existiert ein (göttlicher) “Jesus, der Sündenvergeber” oder “Jahwe, der Völkermörder (aus Liebe)”.
Das eigentliche Problem hier ist – wie so oft – allerdings nicht Gott, sondern der Mensch: Der Mensch nämlich, der sich nicht nur irrational einem Trugbild unterwirft, sondern diesem Trugbild auch noch unmoralische Eigenschaften zuschreibt, die er – der Mensch – auch noch als bewundernswert moralisch preist. Und das ist das eigentlich entsetzliche an dem zitierten Artikel: Daß es Menschen gibt, die diesen Unsinn glauben – und (viel schlimmer) der Auffassung sind, auch andere Menschen sollten sich nach diesen Maßstäben richten.
Dein Vergleich passt allerdings nur auf das zweite Problem: Daß der Nationalsozialismus auch – und gerade – für den ein Problem ist, der ihn ablehnt (und unter ihm leidet), ist ohne Zweifel zutreffend. Nur stellt sich erstere Frage – gibt es ihn überhaupt – beim Nationalsozialismus nicht.
August 9th, 2010 at 21:40
[...] This post was mentioned on Twitter by Jörg E. and Jörg E., Herr Zivilschein. Herr Zivilschein said: Eiko hat auch über diesen fürchterlichen #kath.net-Artikel zur sündhaften Loveparade geschrieben: http://u.nu/3vfje #RevelationofSilence [...]
August 10th, 2010 at 23:48
Gerade bei so einer armseligen Textvorlage, die ein weiteres Mal die katholische Kirche sehr unglücklich wirken lässt, frage ich mich, ob nicht weniger von Deiner Seite mehr gewesen wäre. Ist die Erfüllung von Godwin’s Law in rekordverdächtiger Geschwindigkeit hier wirklich eine Notwendigkeit? Für mich verweist sie auf rhetorische Schwäche oder, wohl eher, argumentative Faulheit.
Da schon eher: Lukas 13, 1-5
Das wäre doch ein passenderer Hinweis…
August 11th, 2010 at 07:38
Man sieht an diesem Beispiel mal wieder, dass religiöse Leute keine besseren oder schlechteren Menschen sind, als nichtreligöse. Das trift auf Laien wie Würdenträger zu. Man wird eben nicht plötzlich von seinen menschlichen Schwächen befreit, weil man an Götter glaubt. Mir soll egal sein, woran jemand glaubt, nur kann niemand aus seinem Glauben ableiten eine moralische Instanz zu sein, weder katholische Bischöfe noch Voodoo Priester. Was viele Leute wohl an den zitierten Äußerungen, den Missbrauchsfällen in der kath. Kirche, der HIV-Politik des Papstes etc. so schokiert, ist die irrige Annahme, religiöse Würdenträger müssten bessere Menschen als sie selbst.
August 11th, 2010 at 09:41
“Man sieht an diesem Beispiel mal wieder, dass religiöse Leute keine besseren oder schlechteren Menschen sind, ”
Schlechter oder besser in was? Nach welchen Maßstäben?
Ich persönlich finde durchaus, dass Menschen, die sich ihre moralische Weltanschauung von Autoren diktieren lassen, welche die Erde für eine vom Himmelszelt überspannte Scheibe (oder was auch immer) hielten, die Evolution der Arten noch nicht einmal erahnen konnten und selbst in wildesten Zukunfsvisionen dem Jetzt in keinster Weise irgendwie nahe gekommen wären, nunja, zumindest sehr seltsam.
Sicherlich mag die eine oder andere Weisheit in der Bibel stecken, so wie Gaius Julius Caesar z.B. sicherlich den einen oder anderen guten Gedanken in Bezug auf Taktik hatte. Aber ein Befehlshaber, der heute auf die Idee kommen würde, sich in Sachen Kriegsführung alleine nach Caesar zu richten, wäre meiner Meinung nach ein schlechter Befehlshaber.
August 11th, 2010 at 10:18
@ Benedikt:
* An den guten Godwin dachte ich auch – allerdings ist das für mich kein Punkt, auf eine andere, weniger leicht verständliche Metapher zurückzugreifen. Ich denke, dass ich da in einem Satz durchaus meinen Punkt gemacht habe, was die Moral angeht.
* Und ja, der Text war eine Steilvorlage, die an Idiotie kaum überstiegen werden kann – siehe die riesige Welle von kritischen Beiträgen im Netz; dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass solche Leute, die auf diese Art und Weise das “Wort Gottes verbreiten” und die objektive Moral gesehen haben, und danach handeln (sic!), gehörig eins auf den metaphorischen Deckel brauchen. Sowas kann und darf einfach nicht sein. Ich verstehe nicht, wieso hier “weniger mehr” sein soll (und wenn dir Vergleiche mit nationalsozialistischen politischen Systemen nicht gefallen, kannst du bei den Sätzen auch gerne an kommunistische denken – die Metaphern schwingen im Grunde bei jedem Satz mit, auch bei “weniger ist NICHT mehr”. ).
* Das ist ebenso wie mit Guantanamo: sowas kann und darf einfach nicht sein. Darüber habe ich auch schon etliche Beiträge geschrieben. Deine Aussage wäre auf Kuba bezogen in etwa: “Guantanamo kann man aber ziemlich leicht kritisieren, weil sie moralisch so derart armselig ist.” Und? Ich finde es trotzdem wichtig, hierzu ein Statement zu machen, auch wenn die meisten Leute mit mir einer Meinung sind, wovon ich nach deinem Posting ausgehe (wenn dem so sein sollte: Wieso ist der Mann weiter Bischof, nach solchen Sätzen? Gilt das in der kath. Kirche als “freie Meinungsäußerung”?)
* Dass ich nicht den Hinweis gegeben habe, der dir “passend” erscheint (Lukas), hängt damit zusammen, dass ich die Bibel nicht so gut kenne wie du. Und damit, dass man Ideologien sehr wohl auch von außen kritisieren darf, und nicht nur im Rahmen eines inneren (im Falle des Christentums beinahe beliebig auslegbaren, widersprüchlichen und vierundsiebzigdeutigen) Bezugssystems. Da steht im “Manifest des evolut. Humanismus” (leider ein sehr polemisches, schwieriges Buch …) ein ganz gutes Kapital dazu, was natürlich wiederum auf alle anderen Ideologien (auch politisch) übertragen werden kann: es ist ein großes Denkfehler zu glauben, man kann/darf Systeme immer noch aus der eigenen Logik heraus kritisieren.
* Abschließend: wenn ich Guantanamo kritisiere, dann nicht jeden Amerikaner.
ta-ta
E.
August 13th, 2010 at 05:38
@Julia: Dein Zitat….
“Sicherlich mag die eine oder andere Weisheit in der Bibel stecken, so wie Gaius Julius Caesar z.B. sicherlich den einen oder anderen guten Gedanken in Bezug auf Taktik hatte. Aber ein Befehlshaber, der heute auf die Idee kommen würde, sich in Sachen Kriegsführung alleine nach Caesar zu richten, wäre meiner Meinung nach ein schlechter Befehlshaber.”
… kann man leicht kontern mit …
“Deswegen ist auch keine Kirche nur von der Heiligen Schrift abhängig, sondern auch von anderen großen Lehrern und Lehren, die es während der Kirchengeschichte gab (z.B. Augustinus, Thomas von Aquin usw.)”.
Falls du auf die Bibel-Autoren raus wolltest.
Ehrlich gesagt halte ich die Existenz von Leiden und vermeintlich göttlicher Strafe für den springenden Punkt am Gegenbeweis zu Christentum, Judentum und Islam. Es gibt ja die Geschichte von Hiob, der als gerechter Mann von Gott und Satan aus Spielspaß gequält wird, um ihn zu testen. Gott straft da nicht aus Liebe. Scheint der Herr Laun wohl vergessen zu haben. Dann gibt es ja die Metapher, dass Gott straft, um uns auf etwas hinzudeuten. Hilft den Toten allerdings nichts, die haben keine Lernkurve mehr.
Der Punkt ist, Wenn Gott überall ist, dann muss er auch im Leiden sein. Oder sogar selbst strafen. Wenn es aber die falschen trifft (siehe Hiob), dann macht er es möglicherweise aus Lust am Quälen oder um Satan was zu beweisen (auch lustig, aber darauf will ich nicht raus). Wenn es aber nicht aus Liebe geschieht, dann widerspricht Gott seinen eigenen Gesetzen. Er wäre damit kein Gott unendlicher LIebe, was aber seine eigene Schrift behauptet. Heißt im Endeffekt, entweder existiert er gar nicht oder eben anders, als die Religionen meinen. Und damit kann er sich mal wieder in einem Logikwölkchen auflösen.
Der einzige Spaß an der Religion ist die mentale Onanie beim Weiterstricken der inneren Widersprüche. Wenn das unfreiwillig deren Vertreter übernehmen, ist es natürlich auch köstlich. Schlimm ist im vorliegenden Fall halt die Respektlosigkeit gegenüber den Opfern (und bedauerlich der mangelnde Intellekt beim Pfaffen).
August 13th, 2010 at 09:59
“Deswegen ist auch keine Kirche nur von der Heiligen Schrift abhängig, sondern auch von anderen großen Lehrern und Lehren, die es während der Kirchengeschichte gab (z.B. Augustinus, Thomas von Aquin usw.)”.
Dazu ein Kommentar aus ganz anderer Richtung: hiermit macht sich jedwede Religion beliebig. Das bedeutet auch, dass man zu unterschiedlichen Zeiten ganz unterschiedliche moralische Richtlinien, die ja von den Gläubigen teilweise als objektiv empfunden werden, ableiten kann. Das wiederum bedeutet, dass jederzeit wieder Kreuzzüge, Hexenverfolgungen und sonstwas für Verbrechen an der Menschheit gerechtfertigt werden könnten.
Und das wiederum bedeutet für mich, dass solcherlei fantastische Grundlagen für Moral vehement und dauerhaft bekämpft gehören, eben weil sie jederzeit “kippen” können.
August 15th, 2010 at 22:00
Da hast du völlig recht. Dass genau das der Fall ist, hat ja die Geschichte schon mehrfach bewiesen. Die Kirche assistierte den größten Massenmördern und nahm i.d.R. barmherzige Menschen unter Beschuss, wenn sie von der geltenden Wahrheit abwichen (z.B. Romero).
August 17th, 2010 at 10:09
Was mir bei der Gelegenheit einfällt:
Irgendwie würde ich “Love-Parade-Teilnehmer tötet Gott” viel lieber lesen… ;-)
[Aus reiner Freude am Wortspiel - tatsächlich kann das ja weder aus dem Weltbild des Theisten noch aus dem des Atheisten heraus funktionieren].