Inhalt:
Der erste Roman von Robert Schneider, der von 23 Verlagen abgelehnt wurde, kam im Jahre 1991 heraus , und gewann gleich etliche Literaturpreise
Ganz grob gesagt geht es um das Kind / den Jungen /den Mann Johannes Elias Alder, der im 19. Jahrhundert in einem abgelegenen Winkel Österreichs lebt. Durch einen Vorfall (Zufall / Gott?) wird der Junge äußerlich gezeichnet, gewinnt aber innerlich ein musikalisches Talent und ein Gehör, was bis zu Johannes Elias Alder unübertroffen war und auch nie wieder erreicht werden sollte.
Das Buch beschreibt den bäuerlichen Alltag, die Einsamkeit, Melancholie, ja tiefe Traurigkeit des Elias, seine zum Scheitern verurteilte reine und wahre Liebe zur viel jüngeren Cousine Elsbeth, Leid und Tod, tiefen Gottesglauben, sowie die erbarmungslose Härte des Schicksal (Gottes?) mancher Menschen.
Denn Elias erkennt, im Alter von 25 Jahren, dass Gott ihm Elsbeth verwehrt hat, weil er nicht gläubig genug war, und entscheidet, nicht mehr zu schlafen.
Denn wer schläft, liebt nicht – schließlich wird Schlafes Bruder nicht umsonst im Volksmund als Tod bezeichnet. Und wie konnte Elias nur glauben, er würde Elsbeth lieben, wie konnte er nur glauben, Gott zu überzeugen, er liebe Elsbeth – wenn er doch jede Nacht schläft …
In der siebenten Nacht geschah es, dass sich sein Gehör für etliche Momente verfielfachte. Elias nahm nicht nur alle Geräusche seines Körpers wahr, er hörte oder sah gewissermaßen in sie hinein. Sah die Unter- und Obergeräusche der Geräusche, die Unter- und Obertöne der Töne, ja hörte noch die unbedeutendsten Schwingungen seines unregelmäßig gehenden Herzenschlagens. Mehr zu hören, wurde ihm nicht bestimmt, denn Gott war fertig mit ihm.
Stil:
Robert Schneider schrieb das Buch im Alter von 31 Jahren – ein absolutes Meisterwerk. Die Stimmung, die er allein durch die alte Sprache aufbaut, ist gewaltig. Die genaue Beschreibung des Dorfes und der Tätigkeiten, die die Bauern dort Tag für Tag durchführen, die erstaunliche Fertigkeit, seitenweise über den Klang von Musik zu schreiben, so dass man es sich richtig vorstellen kann, und die tiefe, wahre Einsicht in das Wesen der Dinge an sich machen das Buch zu einem der besten, die ich je gelesen habe.
Das Buch muss man lesen, gerade wenn man sich für den Sinn, für den Zweck, für das Ziel des Leben und/oder für Musik interessiert – und ich würde mich sehr über eure Meinungen freuen.
“Eine Jede Hoffnung ist ohne Sinn. Kein Mensch verfalle auf die Idee, auf die Erfüllung seiner Träume zu sinnen. Vielmehr soll er den Irrsinn des Hoffens begreifen. Hat er ihn begriffen, darf er hoffen. Wenn er dann noch träumen kann, hat sein Leben Sinn.”
“Erlösung aber ist die Erkenntnis der Sinnlosigkeit der Welt.”
Bewertung: 1+
KÖMM, O TOD DU SCHLAFES BRUDER
KÖMM UND FÜHRE MICH NUN FORT
LÖSE MEINES SCHIFFLEINS RUDER
BRINGE MICH AN SICHERN PORT
ES MAG, WER DA WILL, DICH SCHEUEN
DU KANNST MICH VIEL MEHR ERFREUEN
DENN DURCH DICH KÖMM ICH HEREIN
ZU DEM SCHÖNSTEN JESULEIN
Welch prachtvolle Menschen muß die Welt verloren haben, nur weil es ihnen nicht gegönnt war, ihr Leben im Gleichmaß von Glück und Unglück zu leben.
Von einem letzten Klang ist zu berichten, einem Klang von so filigraner Gestalt, dass er doch in all dem Rumor des Universums hätte untergehen müssen. Aber der Klang blieb und ging nicht unter. Er drang her von Eschberg. Es war das weiche Herzschlagen eines ungeborenen Kindes, eines Fötus, eines weiblichen Menschen. Was Elias gehört und geschaut hatte, vergaß er, aber den Klang des ungeborenen Herzens nicht mehr. Denn es war das Herzschlagen jenes Menschen, der ihm seit Ewigkeit vorbestimmt war. Es war das Herz seiner Geliebten.
Elsbeth staunte, und Elias meinte, sie habe sich in dieser Stunde in ihn verliebt. Nur ein wirklich Liebender kann sich so grausam irren.
Gott ist stärker, denn er liebt alles Unrecht unter der Sonne.
May 17th, 2005 at 17:33
Ein seltsames Buch. Sozusagen “Die Melodie” in Anlehnung an “Das Parfum”. Du hast recht, die erzeugte Stimmung ist gewaltig – und das in einem Setting, das für uns Kosmopoliten fast altbacken wirkt: ein Dorf in den Alpen.
Tatsächlich ist das Buch grandios geschrieben, mit einer Sprache, die zur Thematik passt.
Trotzdem hat es mir keinen richtigen Spaß gemacht, das Buch zu lesen. Zu sehr geht es mir in eine dunkle, Hilflosigkeit erzeugende Richtung. Die Entferntheit der Charaktere zu unsrer heutigen Lebenswelt verstärkt noch das Gefühl ihres Gefangenseins und macht das Buch zu einem Meisterwerk des Schmerzes.
Lesenswert, definitiv. Und danach Terminator 3, als Gegengewicht :-)
June 3rd, 2005 at 09:24
“Welch prachtvolle Menschen muß die Welt verloren haben, nur weil es ihnen nicht gegönnt war, ihr Leben im Gleichmaß von Glück und Unglück zu leben.”
Ein vom Leben/ Gott wahrlich gehasster Mensch. Wie sonst lässt sich erklären, dass diese unglaubliche Begabung mit einem Makel einhergehen muss, der Elias allen Menschen unheimlich macht.
Die eigene Mutter die lieber ein närrisches (mongoloides) als noch so ein Kind wie den Elias hätte, denn auch sie fürchtet sich vor dem eigenen Sohn, dessen musikalisches Talent zu begreifen sie nicht fähig ist.
Niemand der sich für sein Talent interessiert oder es gar fördern will. Kaum jemand der es überhaupt zu erkennen vermag. Der einzige Mensch, der ihn endlich fördern könnte, nach der ersten Begeisterung von Neid und Furcht um die eigene Stellung erfüllt ist.
Peter, der einzige Mensch, der den Elias liebt und ihn zum Komplizen für seine Missetaten wählt. Sich damit aber auch das Leid aufhalst, den Elias durch seine letzten Tage geleiten zu müssen, was ihn selbst von Grund auf verändert.
Und Elsbeth, deren Herzschlag er das erste Mal vernahm als sich sein Gehör auf so grausame Weise vervielfachte. „Von einem letzten Klang ist zu berichten, einem Klang von so filigraner Gestalt, dass er doch in all dem Rumor des Universums hätte untergehen müssen. Aber der Klang blieb und ging nicht unter. Er drang her von Eschberg. Es war das weiche Herzschlagen eines ungeborenen Kindes, eines Fötus, eines weiblichen Menschen. Was Elias gehört und geschaut hatte, vergaß er, aber den Klang des ungeborenen Herzens nicht mehr. Denn es war das Herzschlagen jenes Menschen, der ihm seit Ewigkeit vorbestimmt war. Es war das Herz seiner Geliebten.“ Das Herzschlagen das er immer wieder hören, über das er seine Musik gestalten wird. Und dennoch niemals glücklich in seiner unendlichen Liebe zu Elsbeth sein wird. „Elsbeth staunte, und Elias meinte, sie habe sich in dieser Stunde in ihn verliebt. Nur ein wirklich Liebender kann sich so grausam irren.“
Und die Sprache? Sie drückt auf eindrucksvolle Weise das Leben zu einer Zeit aus, die wir heute kaum noch nachvollziehen können. Das Dorfleben an sich so irr dargestellt, so bildlich beschrieben, so real die Menschen in ihrem beschränkten Horizont, man möchte sie nehmen und anbrüllen, ihnen wenigstens etwas Verstand in ihre närrischen Köpfe prügeln.
Ein durch und durch beeindruckendes Buch!
„Gott ist stärker, denn er liebt alles Unrecht unter der Sonne.“
October 5th, 2006 at 15:04
Danke für den ausfürlichen Beitrag, lieber Vogel.
January 14th, 2008 at 21:26
Eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe.
October 29th, 2008 at 12:37
“Mit zorniger Faust möchten wir diese fiebrig herumirrende, schwarz-dürre Gestalt mit den gelben Augen und dem schütteren Langhaar festhalten, sie bei den Schultern fassen und ihr ins Gesicht schreien: “Rede endlich! Sag ihr, wie es um dich steht! Besser ist es, die Wahrheit zu wissen, als in der Lüge zu träumen!” Es würde nichts nützen. Und wenn wir ihn um seines genialen Talentes willen anflehten, er würde nur gequält lächeln, denn er weiß ja nicht, welch grandioser Musiker er ist. Und wenn er es wüßte, nützte es noch immer nichts. Er würde uns mit bösen Augen ansehen und mit vorwurfsvollem Ton fragen: “Ist nicht die Liebe wichtiger als das höchste Genie dieser Welt?” Wir müßten verstummen. Und weil wir das wissen, fassen wir ihn nicht mit zorniger Faust bei den Schultern.”
Danke für die Buchempfehlung.